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AutorenbildStella*

16.Okt. 18 paxmontana, CH_Schweizer

Letztes Jahr im Herbst, der auch so schön sonnig & warm war, war ich um diese Zeit am Thuner See - das erste Mal, daß ich über Zürich hinaus in die Schweiz gekommen bin. In den vier Wochen hatte ich allerdings nicht mit Schweizern zu tun. So empfinde ich meinen jetzigen Aufenthalt in Obwalden als ersten wirklichen Kontakt mit den Schweizern.

Ich lerne eine ganze Menge über Nationalgefühl, Selbstverständnis, Lebensart. Man kann von den Schweizern vor allem etwas über Kultiviertheit lernen. Es kommt mir vor, als hätten sie eine gewisse Contenance der Jahrhundertwende bewahrt - zumindest in der Öffentlichkeit. Eine feine Art, sich zu benehmen... die in anderen Regionen wahrscheinlich durch die Weltkriege eine Verrohung erfahren hat. Manchmal allerdings grenzt diese feine Zurückhaltung fast an Körperverletzung: Wenn mein gegenüber von mir zurückweicht, wortlos, mich anschaut, als wäre ich ein unberechenbares Gefahrengut. Dann fühle ich mich ein wenig in die Rolle eines Eindringlings gedrängt. Vielleicht hat es mit einem historisch bedingtem Mißtrauen gegenüber den Deutschen in der älteren Generation zu tun? Die Jüngeren sind hingegen sehr offen und zugewandt. - Andererseits werde ich genauso zuvorkommend behandelt in Geschäften oder Restaurants - da macht die Schweizer Contenance keinen Unterschied zwischen einem begüterten Hotelgast und einer Zigeunerprinzessin. Das gefällt mir.

Da ich nun einige Abende eine bestimmte Hotelbar frequentiere, um zu arbeiten, werde ich schon auf der Straße von den Mitarbeitern erkannt und begrüßt. Noch schöner war eine Begegnung mit dem ehrwürdigen Hern E. aus Basel, ein Menschenfreund von wachen 95 Jahren, der mit mir die gleiche Bar teilt. Allabendlich bei einem Espresso lesend und still in sich hineinlachend - vermutlich über den Kommentar seiner Frau, die nicht sichtbar aber spürbar um ihn ist, wenn er ihr die Grotesken der Zeit vorliest.

Es bleibt ja nicht aus, daß man ins Gespräch kommt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein solches Gespräch geführt zu haben: der werte Herr E. hat eine Art, die das Schönste in einem Selbst zum Vorschein bringt - er ist ein außergewöhnlich guter Beobachter und wenn ich den Schweizer Nationalheiligen mit falschem Namen nenne, verwarnt er mich mit Humor, daß ich jeder Peinlichkeit entgehe. (In der Schweiz überkommt mich immer so ein Gefühl von: ich darf keinen Fehler machen.) - Es wurde mir also in dieser Begegnung nicht nur mein kleiner Katechismus abgenommen - sondern so viel Liebe und Verständnis für meine Art, in der Welt zu sein, daß ich wünschte, der Herr E. wäre zu früheren Zeiten als Mentor in mein Leben gekommen. Etwas, was so schwer zu lernen ist in den Schulen und Universitäten: Herzensbildung. Ich hoffe, daß ich mit 95 Jahren so warmherzig, so erfahren und weltdurchschauend meinen Weg gehe. Stilvoll mit Handkuß wurde ich in die Nacht verabschiedet - und er meinte: wenn wir uns so nicht noch einmal sähen, dann eben als Engel, wenn wir aneinander vorbei fliegen. Lachte verschmitzt und flog von dannen. Wunderbar!

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